Beim Stichwort "Gamben-Consort" mag man zuerst an die vielen großartigen Stücke denken, die englische Komponisten der Renaissance und des Barocks für diese Besetzung geschrieben haben. Aber die Kollegen in Frankreich konnten da, wie diese CD beweist, in Sachen Meisterschaft durchaus mithalten. Allerdings war in Frankreich die Zeit der Musik für Gamben-Ensemble schneller vorbei als jenseits des Kanals. Spätestens als der Italiener Jean-Baptiste Lully unter Ludwig XIV. quasi zum musikalischen Alleinherrscher aufstieg, kamen anderen, ebenfalls aus Italien stammende Streichinstrumente in die öffentliche, d.h. königliche Gunst: die extrovertierteren, durchsetzungsfähigeren Violinen. Mit ihnen ließ sich bei den auf Glanz und Repräsentation getrimmten Musik-Ereignissen bei Hofe mehr Staat machen als mit den zarten, aristokratischen Violen. Gepflegt haben das zunehmend extravagante Genre paradoxerweise am längsten vor allem die Komponisten, die gleichzeitig und in erster Linie Organisten waren; sie, die "von Haus" aus einen starken Geschmack für’s Polyphone hatten, scheinen den subtilen, transparenten Klang der Gamben-Ensembles besonders geschätzt zu haben, vielleicht, weil er so überaus gut geeignet war, eben anspruchsvolle polyphone Musik darzustellen. Jedenfalls glänzen fast alle auf dieser CD versammelten Werke durch einen äußerst kunst- und kraftvollen Kontrapunkt. Dennoch kann von einer "verkopften" Musik nicht die Rede sein, und auch die harmonischen und satztechnischen Bizarrerien der zeitgleich aktiven englischen Gamben-Komponisten sind den französischen fremd: Juwelen wie die kurze "Simphonie à 3" des genialischen, jung verstorbenen Louis Couperin verfügen über eine natürliche Gesanglichkeit und eine Klarheit der Proportionen, die man im besten Sinne "romanisch" nennen könnte. Und selbst die melancholischen Gambenfantasien von Étienne Moulinié (um 1610 – um 1669) ziehen ihre starke Energie aus zartem tänzerischem Schwung. Der ist bei dem Ensemble Mare Nostrum um den Gambisten Andrea de Carlo bestens aufgehoben. Der großen Gefahr des Gamben-Consort-Spiels, dem körperlosen Verwehen in näselnde Weiten erliegen die Musiker nicht: Bei aller Klangkultur und Finesse der Intonation spielen sie mit einer Prise archaischer Rauheit, die diese Musik faszinierend "anfassbar" macht. Eine attraktive, den Horizont erweiternde, bereichernde Neu-Aufnahme.
Andreas Grabner